Gasherbrum I 2018

Mit  8.080 Metern Höhe ist der Gasherbrum I der dritthöchste pakistanische Achttausendergipfel und der elfhöchste Berg unserer Erde. Er befindet sich im Karakorum-Gebirge, an der Grenze zwischen dem pakistanischen Baltoro-Gebiet und der nördlich davon gelegenen Shaksgam-Region, der westlichsten chinesischen Provinz Xinjiang. Seinen originellen Spitznamen „Hidden Peak“ (Verborgener Berg) bekam der Gasherbrum I, der höchste einer Vielzahl von Erhebungen der weitläufigen Gasherbrum-Gruppe, vom britischen Entdecker William Martin Conway verpasst, der das Gebiet 1882 erforschte und dessen Blick sich der Gipfel bis zuletzt entzog. Zum überwiegenden Teil wird der Gasherbrum I heute über die von Japanern erstbegangene Nordroute bestiegen, da die Südroute der amerikanischen Erstbesteiger lange Zeit aufgrund des Kashmir-Konfliktes gesperrt blieb.  Ziel unserer Expedition ist es, das erste Mal seit über 40 Jahren wieder über die Route der Erstbegeher, das bedeutet, den Südwestsporn (I.H.E.-Sporn) und die Südostflanke, mit Ski zum Gipfel aufzusteigen und eine komplette Skiabfahrt der Route zu versuchen, nachdem wir uns zuvor um die erste Besteigung des Urdok Kangri II (7.082 m) bemüht haben.

Galerie

Historie

Historie

Die erste Besteigung des Hidden Peak gelang einer US-Amerikanischen Expedition unter der Leitung von Nick Clinch im Jahre 1958. Die beiden Bergsteiger Andy Kauffman und Peter K. Schoening erreichten am 5. Juli unter Verwendung von künstlichem Sauerstoff zu zweit den Gipfel über den Süd-/Südostgrat. Der Südtiroler Reinhold Messner und der Österreicher Peter Habeler waren die ersten Menschen, die den Gipfel am 10. August 1975 ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff bestiegen, und das noch dazu über die schwierige Nordwestwand. 1982 gelang dem Schweizer Sylvain Saudan die erste Skibefahrung des Gasherbrum I vom Gipfel, die bis dato zweite Skibefahrung eines Achttausenders. Nur etwa 350 Mal wurde der Hidden Peak bis zum heutigen Tag bestiegen – im Vergleich dazu der Mount Everest 8000 Mal.

Unter himalaya-info.org findet sich eine gute Zusammenfassung der Besteigungsgeschichte.

Route

Route

Vom Basislager (5.000-5.100 m) auf der Mittelmoräne des Abruzzi-Gletschers, das sich Gasherbrum I und II teilen, folgt man einem Seitental, das zwischen Gasherbrum VI, V und IV auf der westlichen und Gasherbrum III, II und I auf der östlichen Seite begrenzt wird, über den South-Gasherbrum-Glacier höher, bis in einen weitläufigen Gletscherkessel. Nach ein bis zwei Wegstunden betritt man einen wild zerrissenen Gletscherbruch, durch den man sich mühsam hindurch suchen muss, ehe das Gelände wieder flacher und übersichtlicher wird. Auch dann ist der Gletscher noch von einer Vielzahl von Spalten durchzogen und so manche mühsame Umgehung oder waghalsige Brückenüberquerung warten noch auf einen, bevor man im Hochlager I (5.900 m) anlangt. Der Weg dorthin kann von 4 Stunden (bei optimaler Routenfindung) bis hin zu 12 Stunden (bei schlechten Bedingungen) beanspruchen. Ab dem ersten Hochlager folgt man der Talverzweigung nach Osten, unter den beeindruckenden Steilflanken des Gasherbrum II hindurch, in Richtung Gasherbrum-Sattel (6.550 m) zunächst flach bis zum Fuß des Gasherbrum I. Dann steilt sich das Gelände in einem wiederum stark zerklüfteten Eisbruch auf, durch den es erneut gilt, eine gute Route zu finden. Kurz bevor die Steilstufe in flacheres Gelände übergeht, findet sich die erste windgeschütze Lagermöglichkeit im Schutze von Eisklippen. Eine weitere Stunde führt durch ein flaches Gletschertal näher an den Fuß der Japaner-Route, an deren Basis weitere, durch einen kleinen Hügel, lawinen- und windgeschützte Lagermöglichkeiten auf 6.400 Meter Höhe anbieten. Von hier sind es nur wenige Schritte bis zum Beginn des Japaner-Couloirs, das etwa 600 Höhenmeter und bis zu 55 Grad steil, bis zu einem wenig ausgeprägten Sporn-Grat hinaufzieht. Die Route hält sich dabei (im Aufstiegssinne) zunächst mehr im kombinierten linken Teil des Couloirs und vermeidet den tiefen Schnee im Zentrum. Im letzten Teil des Anstiegs folgt sie entweder einem steilen Eiscouloir in der Mitte oder quert nach rechts, in Richtung Sporngrat aus, auf dem die letzten Meter hin zum Hochlager 3 (7.100-7.200 m) zurückgelegt werden. Nach der Überwindung einer letzten kurzen Steilstufe bieten sich die ersten Lagerplätze auf einem weitläufigen, sanft geneigten Rücken. Für die Etappe müssen etwa 6 bis 8 Stunden (je nach Verhältnissen) veranschlagt werden. Am Gipfeltag muss zunächst eine Steilstufe überwunden werden, dann gelangt man in das weitläufige Becken des großen Hängegletschers der Nordwestflanke. Von hier aus gesehen ist die Lokalisierung des Hauptgipfels kein ganz einfaches Unterfangen, da etwa ein halbes Dutzend gendarmartiger Felserhebungen im Gipfelkamm diesselbe Höhe zu haben scheinen. Den langgezogenen, spaltenarmen Hängegletscher steigt man komplett in Richtung Nord-Grat auf, um dann parallel zum Grat in der Flanke steiler werdend in die Gipfelflanke einzusteigen. Immer wieder werden dabei felsige Rippen erklommen oder (im Aufstiegssinne) rechts im Schnee umgangen, ehe eine letzte langgezogene und steile Schneeflanke bis in einen weitläufigen Schneesattel hinaufführt, der links von einem dunklen, dreieckigen Felsgendarmen, rechts vom messerscharf geschnittenen Gipfelgrat flankiert wird. Dem exponierten, oft überwechteten Gipfelgrat folgt man über einen spitzigen Vorgipfel aus Schnee bis zum Hauptgipfel weiter, der eine markante felsige Basis besitzt. Die Gipfeletappe nimmt, je nach Verhältnissen, 9 bis über 14 Stunden in Anspruch.

Ablauf

„Allein“ zu zweit auf den Hidden Peak – Skiabfahrt vom Gipfel

Am 13. Juni 2018 waren wir von München aufgebrochen, um als achtköpfiges Expeditionsteam nach Pakistan aufzubrechen: Sechs Teilnehmer von Amical alpin, dazu Alix, und ich als Expeditionsleiter. Ziel der Mission war die Erstbesteigung des 7082 Meter hohen Urdok Kangri II im Baltoro-Gebiet.

Nachdem der Flug nach Skardu wieder mal ausgefallen war, machten wir uns noch am selben Tag mit dem Kleinbus auf den Karakorum Highway auf. Nach zwei beschwerlichen Fahrtagen, die uns über den Babusar Pass (4.173 m) ins Indus-Tal und weiter nach Skardu (2.228 m)führten, mussten wir noch die obligatorische Bürokratie in der Hauptstadt der Provinz Baltistan durchlaufen. Dies gelang uns dank tatkräftiger Mithilfe unseres Liaison Officers und Agenturmitarbeiter innerhalb von nur einem Tag, so dass wir uns schon kurz darauf auf die Weiterreise mit mehreren Geländefahrzeugen nach Askole (3.050 m) machen konnten, wo der lange Fußmarsch ins Basislager beginnen sollte.

Acht Tage Trekking führten uns von Askole bis ins Basislager. Über Jhola (3.025 m) zunächst am tosenden Fluss Braldu entlang bis Paiju (3.370 m), einer grünen Insel, schon mit Blick auf die Trango-Türme. Nach einem Ruhetag für die Träger betraten wir den 60 Kilometer langen Baltoro-Gletscher. Die weiteren Stationen auf dem Eis hießen Urdukas (4.050 m), wo wir einen weiteren Ruhetag verbrachten, und Goro II (4.150 m). Über den Concordiaplatz (4.650 m) erreichten wir das letzte Zwischenlager Shagring (4.700 m), bevor wir schließlich im Basislager (5.100 m) einliefen.

Schon ab Goro hatte es immer wieder geschneit, mit Ankunft im Basislager wurde der Niederschlag immer intensiver und hielt dann tagelang an. Mit stetig zunehmender Lawinengefahr waren wir größtenteils zum Nichtstun verdammt. Eine entfernt abgehende Lawine hatte während der Nacht mehrere Zelte im Basislager durch den Luftdruck umgepustet.  Zwei Mal unternahmen wir Akklimatisations-Trips über den Abruzzi-Gletscher zum Beginn unserer Route am Fuße des Südwestsporns und deponierten etwas Material. Weiter vergingen die Tage mit Schneefall und bald wurde uns klar, dass wir innerhalb des geplanten Zeitfensters nirgendwohin gelangen würden. Zu lange hätte eine Beruhigung der Lawinensituation gedauert, als dass uns unsere Zeit noch hätte genügen können. Also beschlossen wir, die Expedition abzubrechen und die Träger für die Rückreise zu bestellen.

Während Alix mit den anderen Teilnehmern die Heimreise antreten musste, beschloss ich, noch etwas abzuwarten und, sollte sich die Wettersituation irgendwann bessern, mich noch am Gasherbrum I zu versuchen. Allein blieb ich zunächst mit unserem Koch Nadim und Küchenhelfer Ali im Lager zurück, dann bekam ich plötzlich Besuch von David Göttler und Hervé Barmasse, die zum Gasherbrum IV wollten, und mit einzogen. Damit war für gute Gesellschaft gesorgt und alles sah schon viel besser aus.

Tatsächlich kehrte einige Tage später dann auch eine Wetterbesserung ein, eine Phase von 12 sonnigen, warmen Tagen begann und sorgte für eine rasche Setzung der Schneedecke. Zahllose Lawinen gingen in den nächsten Tagen über die Steilflanken der Berge ab, ehe daran zu denken war, über den zerspalteten Gasherbrum-South-Glacier höher zu steigen. Unter den gegebenen Umständen war es unmöglich, an der ursprünglichen Routenplanung über den I.H.E.-Sporn und die Südwand festzuhalten, ganz alleine hätte ich bei diesen Schneemassen keine Chancen auf Erfolg gehabt. So disponierte ich auf die Japaner-Route um, wo sich weniger Triebschnee angesammelt hatte. Mit einigen versprengten Teilnehmern anderer Gruppen stieg ich ins Hochlager 1 (5.900 m) auf, erkundete und markierte den Weiterweg ins Hochlager 2 (6.400 m) nahe des Gasherbrum-Sattels (6.550 m) und verbrachte dort zwei Nächte zur Akklimatisation. Einige Tage später präparierten wir den Weiterweg durchs Japaner-Couloir in Richtung Hochlager 3 (7.100 m), ehe wir uns ins Basislager vor dem Gipfelversuch zurückzogen. Dieser sollte nicht lange auf sich warten lassen.

Am 16.07. brach ich mit Giampaolo Corona, einem Bergführer aus dem Fassa-Tal in Italien, mit dem ich mich in den vergangenen Tagen angefreundet hatte, vom Basislager auf und stieg gleich bis auf Lager 2 (6.400 m) auf. Am Folgetag zog das Wetter recht bald zu, Schneefall und starker Wind setzten ein. Dennoch konnten wir zügig das Japaner-Couloir durchsteigen und erreichten Lager 3, wo wir auf 7.100 m im tobenden Wind unser kleines Single-Wall-Zelt aufstellten und uns sofort verkrochen. Ein Koreaner, der mit seinen drei nepalesischen Climbing Sherpas am 17.07. einen Gipfelversuch unternommen hatte, musste auf 7.500 Metern umkehren. Für den nächsten Tag sah es ebenfalls alles andere als gut aus, aber jetzt waren wir schon mal hier. Während der zweiten Nachthälfte beruhigte sich das Wetter zusehends. Als ich um 1.30 Uhr aus dem Zelt sah, blinkten mir plötzlich die Sterne entgegen und der Wind war eingeschlafen. Also rüsteten wir uns rasch zum Aufbruch und verließen um 2.30 Uhr unser Lager.

13 bis 14 Stunden später stehen wir auf dem Gipfel des 8.068 Meter hohen Hidden Peak – Giampaolo etwa eine Stunde vor mir, nachdem wir uns im Col noch einmal getroffen hatten. Die Ski zusätzlich mit hinaufschleppen zu müssen, war immer mehr zur Bürde geworden und hatte mich zuletzt noch einige Körner gekostet. Doch nun, nach einem Aufstieg durch teils wadentiefen Neuschnee war uns nur zu zweit im Alpinstil, und ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff der Gipfel geglückt!

Aufgrund der späten Stunde und des wieder einsetzendem Schlechtwetters machte ich mich nach ein paar Aufnahmen schleunigst auf den Weg, um Giampi zu folgen. Dank der Ski gelang der erste Teil des Abstiegs schnell, doch schon bald hatten mich Dunkelheit und Schneetreiben eingeholt und ich musste notgedrungen auf Steigeisen umsatteln und den restlichen Abstieg zum letzten Hochlager zu Fuß bewältigen. Nur mit Hilfe eines GPS-Geräts war dieser im mittlerweile um mich herum tobenden Unwetter überhaupt noch denkbar. Mehrmals verlor ich trotz des Geräts die richtige Route und musste mich zeitraubend wieder zurückkämpfen. Trotz allem erreichte ich schließlich wohlbehalten unser Zelt auf 7.100 m Höhe, in dem mich Giampi bereits mit heißem Tee erwartete.

Am folgenden Tag setzten wir gemeinsam den Abstieg Richtung Basislager fort. Die skitechnische Schlüsselstelle der Route, das 55 Grad steile „Japaner-Couloir“ zwischen Hochlager 3 (7.200 m) und 2 (6.400 m), konnte ich wegen der nunmehr drohenden Lawinengefahr nicht versuchen. Eine Entscheidung, die mir sehr schwer fiel, schließlich lässt man ungern das Filet übrig. Aber in diesem Fall war keinerlei Diskussion notwendig. Zu groß waren die Schneeverfrachtungen der vergangenen Nacht, als dass daran ein Gedanke zu verschwenden gewesen wäre. Erst ab dem Fuß der Steilrinne ließ sich die Skiabfahrt bis zum Beginn des großen Gletscherbruchs (ca. 5.400 m) fortsetzen und schon bald darauf hatte ich auch das Basislager (5.100 m) erreicht.

Ein frohes Ende für eine äußerst schwierige Saison im Karakorum. Nach mehreren Wochen nahezu ununterbrochenen Schneefalls zu Beginn der Saison im Juni, mussten viele Expeditionen wieder unverrichteter Dinge abreisen. Auch nachdem sich das Wetter beruhigt hatte, sorgte der viele Schnee und die schlechten Bedingungen für so wenig Gipfelerfolge an den pakistanischen Achttausendern wie selten. Die Gipfel von Gasherbrum I und II wurden jeweils nur von zwei Bergsteigern erreicht. Umso glücklicher dürfen wir uns schätzen, dass wir es trotz alledem, nur zu zweit, geschafft haben!