Nanga Parbat 2008

Der Nanga Parbat ist mit 8125 Meter der neunthöchste Berg unserer Erde. Sein Name kommt aus dem Sanskrit und bedeutet „Nackter Berg“. Der Nanga Parbat ist der westlichste Eckpfeiler des Himalaya-Gebirges, das im Industal Pakistans mit dem nördlich angrenzenden Karakorum und dem westlich davon gelegenen Hindukush kollidiert. Bekannt ist der Berg deutschen Sprachkreisen schon seit den 1930er-Jahren durch das seit Beginn der Besteigungsgeschichte starke deutsch-/österreichische Engagement, die Erstbesteigung des Gipfels zu erringen. Tragische Unglücke kosten bereits zu dieser Zeit mehr als zwei Dutzend Menschen das Leben, so dass er seinen Beinamen „der Mörderberg – Killer Mountain“ erhält. Ziel der Expedition ist es, über die klassische „Kinshofer-Route“ in der Nordwestwand des Berges, der „Diamir-Flanke“,  zum Gipfel aufzusteigen und eine Skibefahrung über die Diamirflanke zu versuchen.

Galerie

Geschichte

Die Erstbesteigung des Nanga Parbat gelang dem Österreicher Hermann Buhl als Mitglied der deutschen Himalaya-Expedition unter Leitung von Karl Maria Herrligkoffer am 3. Juli 1953 ohne Verwendung von künstlichem Sauerstoff über die Rakhiot-Flanke. Die erste Besteigung über die Diamir-Flanke, die heute am häufigsten genutzte Aufstiegsroute, und die zweite Besteigung des Berges an sich, glückte knapp 10 Jahre später einer deutschen Expedition unter der Leitung von Karl Maria Herrligkofer. Die deutschen Bergsteiger Anderl Mannhardt, Toni Kinshofer und Siegfried Löw erreichten am 22. Juni den Gipfel ohne die Verwendung von künstlichem Sauerstoff. Löw stürzte während des Abstiegs in der heute nach ihm benannten Eisrinne zu Tode. 1970 wurde die höchste Flanke des Berges, die Rupal-Flanke, das erste Mal von einer deutschen Expedition, abermals unter der Leitung von Karl Maria Herrligkofer, erstbestiegen. Die Bergsteiger Felix Kuehn, Peter Scholz sowie Reinhold und Günther Messner erreichten am 27. und 26. Juni den Gipfel. Letzteren beiden gelang im Abstieg über die Diamir-Flanke die erste Überschreitung eines Achttausenders überhaupt, doch Günther Messner verunglückte während der Odysee tödlich. Die erste Skibefahrung des Nanga Parbats unternahmen 1990 der Südtiroler Extrembergsteiger Hans Kammerlander und sein Schweizer Partner Diego Wellig, nachdem sie am 1. Juli den Gipfel erreicht hatten, mit längeren Abkletter- und Abseil-Passagen vom Südgipfel aus.

Unter himalaya-info.org findet sich eine gute Zusammenfassung der gesamten Besteigungsgeschichte.

Route

Vom Basislager aus folgt man zunächst der Seitenmoräne des Diamir-Gletschers bis zum Wandfuß. Die heute gebräuchliche Aufstiegsroute verläuft in weiten Teilen auf der historischen Kinshoferroute, es werden vier Hochlager (C1 4900 m, C2 6000 m, C3 6700 m, C4 7300 m) bis zum Gipfel errichtet. Das erste Bollwerk der unteren Diamirflanke, im gesamten rechten Teil mit gefährlichen Seracabbrüchen bewehrt, wird geschickt links umgangen. Die steile, kombinierte Felswand muss durch eine Folge von Rinnen und Felspfeilern, mit so bekannten historischen Landmarken, wie „Löw-Eisrinne“ oder „Kinshofer-Wand“, erstiegen werden (Schwierigkeiten im Fels bei freier Kletterei bis V, im Eis bis 65 Grad Steilheit). Nahezu die gesamte Strecke, bis sich das Gelände auf ca. 6000 Metern zurücklegt, muss Stück für Stück mit Fixseilen versichert werden. In den Schlüsselstellen kann man sich darüber hinaus mit einigen Strickleitern behelfen. Über einen Rücken und zunehmend schneebedecktes Gelände erreicht man die lange Querung zur Bazhinmulde unterhalb der Gipfelwand (bis über 40 Grad Steilheit). Auch hier sind wiederum Fixseile notwendig. Vom letzten Lager folgt man nicht der historischen Linie sondern ersteigt den Gipfel heute direkt über die Westflanke des kombinierten Felstrapezes. Die Schwierigkeiten dieser anspruchsvollen Route liegen nicht nur in den technisch diffizilen Abschnitten der Führe begründet. Das stets sehr steile Gelände, in dem häufig Stein- oder Eisschlag vorkommen, sowie lange, konditionell fordernde Tagesetappen fordern vollen Einsatz.

Ablauf

Teamerfolg am „Schicksalsberg der Deutschen“ – Erste Skibefahrung der Zentralen Diamirflanke

Am 21. Mai brechen die deutschen Bergsteiger Jürgen Greher, Florian Hübschenberger, Josef Lunger, Ralf Marsula, Alix von Melle, Helga Söll und Luis Stitzinger nach Pakistan auf, um den 8125 Meter hohen Nanga Parbat, den „Schicksalsberg der Deutschen“ zu besteigen. Nach zwei Monaten Expeditionsdauer kehren die letzten beiden Mitglieder der deutschen Nanga Parbat Expedition 2008, Josef Lunger und Luis Stitzinger, am 22. Juli 2008 nach Hause zurück. Die Bilanz der gesamten Unternehmung:

  • Erste Skibefahrung der zentralen Diamirflanke am Nanga Parbat, 8125 m
  • Überschreitung der Mazeno Ridge mit Zweitbesteigung
    des Mazeno Peak, 7145 m
  • Gipfelerfolg aller 6 verbliebenen Expeditionsteilnehmer am 21. Mai 2008
  • Zweite deutsche Frau auf dem Gipfel: Alix von Melle und Helga Söll (gleichzeitig)
  • Bislang vermutlich jüngster Gipfelbesteiger des Nanga Parbat:
    Florian Hübschenberger, 21 Jahre
  • Und vor allem: viele Eindrücke und Erlebnisse, bleibende Freundschaften und kein Unfall!

Expeditionstagebuch

Angekommen – vom 26.05.08

Nach einer langen Fahrt (ca. 15 Std.)über den Karakorum-Highway sind wir in Chilas angekommen und haben dort übernachtet. Mit Jeeps ging es tags darauf weiter nach Halale (1630 m), dem Beginn unses Trekkings zum Basislager.
Auf einer heißen aber eindrucksvollen Etappe haben wir die Diamir-Schlucht durchquert und sind nach 6 Stunden in Ser (2800 m) angekommen. Der Nanga Parbat hat sich bereits blicken lassen und begrüsst uns mit viel Neuschnee. Morgen geht es eine ähnlich lange Etappe (1000 Hm, 6 Std.) bis ins nächste Lager oberhalb der letzten bewohnten Siedlungen im Diamirtal, von dort sind es dann nur noch 3 Std. bis ins Basecamp. Von dort melden wir uns dann wieder. 

Liebe Grüsse aus Pakistan SUMMIT Nanga Parbat Expedition 2008 
Joe, Florian, Ralf, Helga, Jürgen, Alix und Luis

Einzug ins Basislager – vom 28.05.08

Gestern, am 28. Mai, sind wir planmäßig im Basislager auf 4235 m eingelaufen. Nachdem am Nachmittag des Vortages eine Störung für einigen Neuschnee gesorgt hatte, war alles weiß verschneit. Heute haben wir unser „kleines Dorf“ vollständig aufgebaut und uns häuslich eingerichtet. Nachdem uns der Morgen mit strahlendem Wetter aus dem Schlafsack gelockt hatte, hat sich uns auch der Berg in seiner ganzen Größe präsentiert. Wir waren beindruckt…

Ruhetag im Basislager, 4235 m – vom 01.06.08

Nachdem wir beim ersten Aufstieg ins C1, 4920 m, Material transportiert und Zeltplattformen für 4 Zelte im Schutz eines massiven Felspfeilers errichtet hatten, sind wir wieder ins BC abgestiegen. Am folgenden Ruhetag ist dann zum ersten Mal Gelegenheit, so richtig das Lagerleben zu genießen: Spätes Brunch, warme Dusche, in der Sonne relaxen, Kräfte für den den erneuten Aufstieg tanken. Mit Rainer Pircher und seinem Amical-Expeditionsteam, die am selben Tag wie wir im Basislager eingelaufen sind, besprechen wir, wie wir uns in den kommenden Tagen beim Vorantreiben der Route abwechseln wollen, um möglichst schnell vorwärts zu kommen.

Aufstieg ins C1, 4920 m – vom 02.06.08

Am späten Vormittag steigen wir wieder zum C1 auf, mit schweren Rucksäcken beladen, die die gesamte persönliche Ausrüstung für den weiteren Aufstieg enthalten. Leider zieht das Wetter am Nachmittag zu und es beginnt zu schneien. Die Schneefälle sollen erst im Verlauf des späten Abends aufhören. Ralf Marsula musste die Expedition aus gravierenden gesundheitlichen Gründen heute leider abbrechen und befindet sich derzeit auf der Rückreise über Gilgit (Flug) nach Islamabad und wird von dort aus nach Hause zurückkehren.

Beginn der Versicherungsarbeiten in der Löw-Eisrinne – vom 03.06.08

Nachdem wir beim ersten Aufstieg ins C1, 4920 m, Material transportiert und Zeltplattformen für 4 Zelte im Schutz eines massiven Nach einem rühen Aufbruch versuchen wir vergeblich in der Dunkelheit, die von Rainer Pircher und seinem Amical-Expeditionsteam am Vortag zurückgelassenen Aufstiegsspuren wieder zu entdecken. Alles ist tief verschneit. Teilweise bis übers Knie spurend, wülen wir uns die Löw-Eisrinne hinauf und begehen die von Rainer am Vortag verlegten Fixseile bis zur Hälfte der Rinne. Bedingt durch den tiefen Schnee und das langsame Vorwärtskommen, schaffen wir an diesem Tag lediglich weitere 200 Meter zu fixieren. Dann wird es bereits wieder Zeit, den Abstieg anzutreten, um der Stein- und Eisschlaggefahr in der Rinne zu entgehen, die durch die aufziehende Sonne ausgelöst werden. Wieder beginnt es am späten Vormittag zu schneien, diesmal jedoch noch heftiger als tags zuvor. Als wir uns abends schlafen legen, schneit es immer noch.

Versicherungsarbeiten durch die Löw-Eisrinne bis zur Kinshofer-Wand – vom 04.06.08

Völlig überrascht blicken wir in einen tiefschwarzen Sternenhimmel, als um 0 Uhr der Wecker klingelt. Eineinhalb Stunden später steigen wir zur Löw-Eisrinne auf, dieses Mal durch noch tieferen Neuschnee spurend. Alle alten Spuren sind erneut verwischt. Viel Kraft und Zeit sind verbraucht, als wir um ca. 6.30 Uhr am Routenkopf ankommen. Lawinengefahr am rechten Rand der Eisrinne lässt uns die Querung sehr früh nach links ansetzen. An zwei Felsinseln vorbei, wählen wir die direkteste Anstiegslinie zur Basis der Kinshofer-Wand. Nach weiteren 3 1/2 Stunden anstrengender Spurarbeit ist diese endlich erreicht und wir begeben uns auf den späten Abstieg, nachdem wir verbleibende Fixseile und Versicherungsmaterial deponiert haben. Der Abstieg verläuft schnell, bereits nach einer Stunde ist wieder alles im C1 versammelt. Nach kurzem Ausruhen und einer Brotzeit steigen wir zum Basislager ab, wo wir mit Tee und Keksen freudig empfangen werden.

Ruhetag im Basislager – vom 05.06.08

Nach spätem Aufstehen, genießen wir das Traumwetter im Basislager und sehen Rainer uns seinen Mannen beim Aufstieg durch die Eisrinne zu. Bereits morgen planen wir, ebenfalls wieder zum C1 aufzusteigen und in der Nacht darauf durch die Löw-Eisrinne und über die Kinshofer-Wand bis zum C2, 6000 m, vorzudringen. Von dort wollen wir weitere Fixseile über den kombinierten Gratsporn und die anschließende Eisflanke Richtung C3, 6800 m, verlegen.

BC – C1 – vom 06.06.08

Nach wie vor verspricht der Wetterbericht 5 bis 6 Tage gutes Wetter. Damit ist die Entscheidung klar, es geht wieder hinauf. Am späten Nachmittag starten wir bei leichter Quellbewölkung zum ersten Hochlager. Durch die mittlerweile gute Akklimatisation schrumpfen die ehemals 3 ½ Stunden Aufstieg zu 2 zusammen. Im Abendlicht genießen wir die spektakuläre Aussicht bis hinunter aufs Industal.

C1 – C2 – vom 07.06.08

In zwei Gruppen steigen wir durch die Löw-Eisrinne in Richtung Lager 2 hinauf, die erste bricht bereits um 1.30 Uhr auf, um noch Verbesserungen an den Fixseilen in der Kinshofer-Wand vornehmen zu können. Die zweite Gruppe bricht eine gute Stunde später auf. Der harte Firn – zum Teil kommt bereits Blankeis zum Vorschein – lässt keinen Gedanken mehr an die Bedingungen aufkommen, die nur wenige Tage zuvor noch geherrscht hatten: Pulverschnee bis übers Knie! Selten zuvor erlebten wir, wie sich die Bedingungen so schnell verrändern können. Dennoch fällt der Aufstieg nicht unbedingt leichter, was zuvor die Oberschenkel leisten mussten, fällt nun der Wadenmuskulatur zu. 20 kg schwere Rucksäcke – Fixiermaterial, Zelte, Nahrungsmittel und Brennstoff sowie persönliche Ausrüstung – wollen bei 50 bis 55 Grad Neigung 1100 Höhenmeter hinauf bewegt werden. Die Kinshofer-Wand, ein ca. 150 Meter hoher Felsriegel mit einigen senkrechten Aufschwüngen, präsentiert sich im zunehmenden Tageslicht düster und unnahbar. Ein Spinnennetz aus altem Fixiermaterial weist den Weg über die Felsbarriere: Zum Teil hängen bis zu 10 alte Fixseile und 3 Alusprossenleitern parallel nebeneinander. Nachdem einiges alten Material entfernt worden und neues Fixseil installiert worden ist – all zu viel gibt es allerdings nicht mehr zu tun, Rainer hat mit seinen beiden High Porter beim letzten Vorstoß ganze Arbeit geleistet – kann die Hürde genommen werden.
Schwer ziehen die Rucksäcke nach hinten, am Ende der Felswand sind alle erschöpft, als wir vom Schatten in die Sonne des kleinen Schneegrates tauchen, auf dem Camp 2 auf 6070 Meter errichtet wird. Nach einer ausgiebigen Ruhepause müssen dann aber die Zeltplattformen in Angriff genommen werden. Rainer hat mit seinen Amical-Jungs bereits die erste Terrasse mit 5 Zelten verbaut. Wir errichten 4 weitere Zelte auf einer zweiten Terrasse. Zum Teil müssen wir tief in den Hang hinein graben, um die schmalen Hochgebirgszelte unter zu bekommen. Zu allem Überfluss beginnt es auch noch zu schneien. Nach einigen Stunden Schaufeln und Pickeln steht das Lager schließlich gut geschützt auf dem Grat. Zur Belohnung reißt das Wetter abends wieder auf und stimmt uns mit goldenem Licht und umwerfenden Tiefblick zuversichtlich auf den nächsten Tag ein.

Fixseilinstallation C3 – C2 – vom 08.06.08

Die Anstrengungen des Vortags waren groß, so lassen wir uns am nächsten Morgen etwas mehr Zeit. Um 8.00 Uhr wird die Ausrüstung sortiert und verteilt, kurze Zeit später brechen alle auf, um den bisherigen Routenkopf dreihundert Meter höher zu erreichen, der tags zuvor von Rainer mit seinem Team eingerichtet worden war. Ein kombinierter Felsgrat führt mit einigen Aufschwüngen zu einem kurzen Firngrat empor. Dort, wo dieser in eine breite Eisflanke mündet, errichten wir ein Depot mit mehr als eintausend Meter Fixseil und viel Fixiermaterial. Zu viert – Ali, Qumbar, Joe und ich – steigen wir mit einigen hundert Metern Fixseil, Schrauben und Firnhaken beladen höher, um die Route weiter Richtung Camp 3 voranzutreiben. Der Rest des Teams – Helga, Jürgen, Alix und Flo kümmern sich nach ihrem Abstieg zum Lager um die nicht minder schweißtreibende Aufgabe, die Zeltplattformen zu verbessern. Die Verhältnisse in der Eisflanke sind anstrengend. Sanken wir auf dem Schneegrat noch bis zum Knie in tiefen Bruchharsch ein, liegen hier nur wenige Zentimeter Schnee auf dem pickelharten Blankeis.
Nach dem Verlegen von zweihundert Metern Fixseil stoßen wir auf alte Seile, die sich aber in tadellosen Zustand befinden. Mit einiger Mühe können wir sie aus dem Schnee herausreißen. Immer wieder sind sie jedoch auch so stark ins Eis eingeschmolzen, dass sie sehr vorsichtig herausgepickelt werden müssen, um sie nicht zu beschädigen. Beinahe erreichen wir die Serac-Terrasse auf 6600 Meter, als sich die Bewölkung – wie so häufig nachmittags – verdichtet und Schneefall einsetzt. Damit ist uns die Entscheidung abgenommen, wir deponieren alles Material am letzten Standplatz und machen uns gegen 16.00 Uhr an den Abstieg zum Lager 2. Rainer sollte so beim nächsten Anlauf leichtes Spiel haben, Camp 3 auf 6800 Meter Höhe zu erreichen. Bei Suppe, Vollkornbrot und Käse erholen wir uns von den Strapazen und fallen bereits früh in tiefen Schlaf.

C2 – BC – vom 09.06.08

Bereits um 7.30 Uhr treten wir alle die Schussfahrt ins Tal an. Daniele, ein Teilnehmer der benachbarten italienischen Zwei-Mann-Expedition schließt sich uns sechs dabei an – solo, versteht sich, wie später im Internet stehen soll. Das etwas steif gefrorene Fixseil lässt den Profi-Bergsteiger mit seiner Abseilplatte zunächst ratlos am ersten Standplatz stehen, bis er sich eines besseren versieht und es uns gleichtut und mit HMS abseilt. Als nächstes poltert sein Pickel das Eiscouloir hinunter … – anscheinend geht man in der italienischen Profiklasse sowohl mit Kenntnissen als auch mit Sorgfalt etwas lockerer um, als wir uns das als biedere Deutsche so vorstellen wollten.
Eine knappe Stunde später stehen wir bereits in unserem ersten Hochlager, entledigen uns der warmen Bekleidung und Kletterausrüstung und steigen weiter zum Basislager ab. Auf halbem Weg werden wir von Shakar und Taimoor mit Tee und Keksen empfangen, eine sehr liebe Geste. Wenig später sitze wir am gedeckten Mittagstisch im Messzelt und lassen uns ein dreigängiges Menü schmecken. Nachmittags-Siesta, Sachen trocknen und aufräumen. Nach dem Abendessen wartet noch ein besonderes Zuckerl auf uns, Kinovorführung von „Keinohrhasen“ auf unserem Laptop bei vollbesetztem Messzelt.

Ruhetag BC – vom 10.06.08

Spätes Aufstehen, Duschen, Socken waschen. Das übliche Prozedere an einem Ruhetag. Nach wie vor ist das Wetter gnadenlos gut. Nachmittags kommt die gemischt österreichisch-deutsche Expedition von Lukas Furtenbach mit 5 Mann und einer Frau zum Kaffee vorbei, wir unterhalten uns prächtig. Unsere Küche macht abends einer weiteren pakistanischen Gebirgsziege den Garaus. Es ist trotz naturverbundenem Lebensstil schon etwas merkwürdig, ein lebendes Geschöpf, das eben noch vor einem stand und mit großen Augen betrachtete, kurze Zeit später auf dem Teller liegen zu haben. In diesem Fall in Form von Schaschlik, über Holzkohle gebraten. Nach dem Essen nutzen die vereinigten Lagerbesatzungen die Gelegenheit, die kommunale Müllverbrennung zum „romantischen Lagerfeuer“ zu deklarieren und trommeln, singen und tanzen ausgelassen.

BC – C1 – vom 11.06.08

Als wir gegen 8.00 Uhr frühstücken steht wieder keine Wolke am Himmel. Etwas bange beginnen wir uns schon zu fragen, wie lange so viel Wetterglück wohl noch anhalten kann. Durch das Fernglas beobachten wir Rainers Team, wie es sich langsam von Lager 2 höher bewegt. Im Tagesverlauf wollen sie heute Lager 3 erreichen und aufbauen. Wir packen unsere Sachen für einen erneuten Gang nach oben. 2 Tage versetzt, hegen wir denselben Plan. Auch wir wollen Lager 3 errichten. Entweder, wie Rainer, auf dem schmalen Grat, der die große Eisflanke links begrenzt oder bei guten Verhältnissen auch weiter rechts im Schutz von Felsen, in direkterer Aufstiegslinie zum nächsten Hochlager. Aber das müssen wir uns zunächst aus der Nähe ansehen. 14.00 Uhr spätes Mittagessen, nach einer kurzen Ruhepause brechen wir zum ersten Hochlager auf.

C1 & C2 – vom 12.06.08

Früh morgens um 3.30 brechen wir in die Löw-Eisrinne auf. Blankeisstreifen durchziehen mittlerweile das Couloir und machen den Aufstieg anstrengend für die Wadenmuskulatur. Die bessere Akklimatisation macht sich dennoch bemerkbar – der Aufstieg fällt wesentlich leichter als noch beim letzten Mal. Dennoch lassen sich der Schweiß und einige Flüche bei der Überwindung der  Kinshofer-Wand nicht gänzlich unterdrücken. Bereits um 10.00 erreichen die Ersten Lager 2 und lassen sich die Sonne auf den Buckel brennen, die urplötzlich hinter dem Grat auf einen wartet. Die Temperaturen schießen dadurch gleich sprunghaft in die Höhe, 30 Grad und mehr im Zelt sind keine Seltenheit. So ist eine mediterrane Siesta nicht nur sinnvoll, sondern schon fast Pflicht, bevor die unvermeidbaren Lagerarbeiten (Schnee schmelzen, Zeltplattform verbessern, etc.) am Nachmittag wieder aufgenommen werden können. Vom Basislager bekommen wir Nachricht, dass Unser aus Gesundheitsgründen frühzeitig abgereister Mitstreiter, Ralf Marsula, gut zu Hause angekommen ist und, dass es ihm gut geht. Wir freuen uns sehr darüber und unsere Gedanken sind bei ihm.

C2 & C3 – vom 13.06.08

Noch vor dem Auftauchen der Sonne, brechen wir um 6.45 zum Lager 3 auf. Die Passagen über den kombinierten Blockgrat laufen sehr rund, da die Spur der Kollegen von Amical vom Vortag noch gut vorhanden ist. Zu Beginn des Firngrates ist die Spur dann aber verweht, die Fixseile von Schnee bedeckt oder im Eis eingeschmolzen und müssen mühsam befreit werden. In der Mitte der anschließenden Eisflanke, dort, wo sich diese zurücklegt, wird der Schnee schlagartig tiefer und die Spurarbeit bei der zunächst sehnsüchtig herbei gewünschten, dann ebenso schnell verfluchten Sonne, zur Tortur. Die letzten Meter zum auf dem Gratsporn auf 6800 Metern gelegenen Camp 3 scheinen nicht enden zu wollen. Im Schneckentempo bewegen wir uns mit den schweren Rucksäcken weiter. Kurz vor 13.00 Uhr kommen wir oben am Grat an. Nach einer Ruhepause machen wir uns an die schweißtreibende Arbeit, Plattformen für unsere Zelte in der Schneeflanke unter dem Grat zu errichten. Schließlich steht das Lager mit 3 Zelten gut positioniert unterhalb der Gratschneide im Hang. Die Abendstimmung schlägt wieder einmal alle Rekorde und lädt dazu ein, die Zeltapsis bis zur letzten Minute geöffnet zu lassen.

C3 & BC – vom 14.06.08

Vollständige Skibefahrung der Schlüsselstellen der Kammerlander- Route Vor Sonnenaufgang machen wir uns an die Erkundung Richtung Lager 4. Die an den Felsen angebrachten alten Fixseile sind tief verschneit und können nur äußerst mühsam freigelegt werden. Nach wenigen hundert Metern geben wir die Sysiphos-Arbeit entnervt auf. Eine tiefer angesetzte Querung stößt auf weniger tiefen Schnee. Wir spuren einige hundert Meter weit in Richtung auf den kombinierten Felsgrat zu, der das Firnbecken von der Bazhin- Mulde, in der Camp 4 auf ca. 7300 m gelegen ist, trennt. Um im Abstieg nicht zu spät in die Eisrinne zu gelangen, müssen wir letztlich abbrechen und zum Lager zurückkehren. Bis spätestens 10.00 Uhr machen sich alle an den Abstieg über die Fixseile zu Camp 2 und weiter über Kinshofer-Wand und Löw- Eisrinne zu Camp 1. Luis, der seine nagelneuen Dynafit-Protoypen-Ski mit bis auf Lager 3 hinauf getragen hat, wartet noch bis 11.00 Uhr ab, um dann über die Kammerlander-Route eine Skiabfahrt zu versuchen. Bereits nach wenigen hundert Metern stellt sich die Befürchtung als wahr heraus: Die Bedingungen sind grenzwertig, immer wieder durchziehen Blankeisstreifen die fünfzig Grad steile Flanke. Nach der Einfahrt ins Couloir, das sich orografisch rechts von Lager 2 befindet, steilt sich das Gelände immer weiter auf. Bei der Umfahrung der ersten Bruchzone erreichen Passagen 60 Grad Steilheit. Noch schwieriger gestalten sich aber auch hier Blankeisstellen, die immer wieder, neben guter Kantenarbeit, den Einsatz des Eispickels beim Hinuntertreppeln erfordern. Dann ist der große Serac erreicht, der senkrecht über hundert Meter abbrechend, die weitere Steilrinne verschließt. Die Orientierung gestaltet sich als schwierig, da der steile Hängegletscher stark von Spalten durchfurcht und von Klüften zerrissen ist. Unter gewaltigen Eistürmen querend, kann Luis schließlich einen Firnkessel erreichen, der nach ca. 100 Meter Gegenaufstieg im Treppenschritt zu einer kleinen Scharte führt. Diese führt unschwierig hinüber ins Löw-Couloir. Mehrfach müssen wiederum Blankeisstreifen mit dem Eispickel gequert werden, bis die steile Schussfahrt im makellose Firn des Couloirs bei Lager 1 ihr Ende findet. Damit sind die Schlüsselstellen der Kammerlander-Skiroute vollständig, ohne Abklettern oder Abseilen, mit Skiern befahren. Ein gelungener Warm-up, der auf mehr hoffen lässt. Fehlt nur der Schnee, der immer mehr zur Mangelware wird. Doch neuen zu beschwören, kann am Nanga Parbat ein gefährliches Spiel sein.

Ruhetag im BC – vom 15.06.08

Stark dehydriert nach dem langen Abstieg vom Vortag ist Trinken das oberste Gebot. Nach einem gemütlichen Frühstück treffen sich Rainer (Amical), Luis (Summit Club), Daniele (Italienische Expedition) und Lukas (österreichisch-deutsche Expedition) zu einer Lagebesprechung. Die neuen Wetterberichte stehen am Montag an, dann soll die Entscheidung fallen, wann zum Gipfelangriff geblasen wird.

Ruhetag im BC – vom 16.06.08

Bedeckter Himmel und gelegentlicher Regen von der Früh an. Wir nutzen den Leerlauf, um neue Sender im Weltempfänger zu suchen, mit unserem Lagerkoch die Zubereitung von Kaiserschmarrn zu üben oder mit der Amical-Mannschaft Fußball zu kicken. Allerdings muss dosiert mit der Beinkraft umgegangen werden, ein zu ungestümer Schuss kann leicht in einen einstündigen Fußmarsch den Gletscher hinab enden, um den Ball von dort wieder zu holen. Diese Strafe wäre dann fast so schlimm, wie die Versenkung im Genfer See nach dem Verlust des Fondue-Stückchens im Asterix- Comic.

BC – C1 – vom 17.06.08

Nachdem uns unser Wettermann, Charly Gabl, nochmals bestätigt hat, dass am Samstag der Wind, der im Gipfelbereich ansonsten stets über 50 km/h liegt, wesentlich ruhiger sein soll, sind die Würfel gefallen: Wir bereiten uns für Samstag als Gipfeltag vor. Gemeinsam mit Rainers Amical-Mannschaft und der kleinen italienischen Expedition wollen wir die Chance nutzen und eine starkes Team fürs Spuren in der Gipfeletappe bilden. Vormittags werden die Sachen gepackt, am späten Nachmittag geht es den altbekannten Weg hinauf ins Lager 1. Dieser ist mittlerweile stark ausgeapert, man erkennt ihn kaum mehr wieder. Auch die Zelte auf Lager 1 thronen –  Gletscherthrönen anmutend – obskur auf ihren Schneehälsen.

C1 – C2 – vom 18.06.08

Frühmorgendlicher Start in die Löw-Eisrinne, die, da zunehmend eisig, ihrem Namen alle Ehre macht. Wenn auch immer noch sehr anstrengend, verläuft der Anstieg von Mal zu Mal besser. Mittlerweile kommen wir nach 6,5 Stunden im zweiten Hochlager an. Dort heißt es dann regenerieren, möglichst viel trinken und essen, um Substanz für die folgenden Tage zu erhalten.

C2 – C3 – vom 19.06.08

Die von Charly angekündigten stärkeren Höhenwinde vor dem Samstag tun ihr übriges, um einen ganz frühen Aufbruch zu vereiteln. Zu kalt sind die Temperaturen, bevor die Sonne die Umgebung etwas erwärmt. So brechen wir erst um 8 Uhr auf. Nach dem kombinierten Grat dominiert Blankeis die Flanke hinauf zum Hochlager 3, das Steigen ist eine Herausforderung nicht nur für die Wadenmuskulatur. Gegen 14 Uhr kommen wir an den Zelten an. So sonnenüberflutet das Lager auch um die Mittagszeit sein mag, am frühen Nachmittag zieht – wie jeden Tag – starke Quellbewölkung auf und bringt etwas Niederschlag in Form von Graupel oder Schneefall. Auch diesen Tag ist es schon bald wieder so weit, doch langen alle noch trockener Haut im Lager an. Die Hochträger von Rainer versichern noch nachmittags die ersten zweihundert Meter der langen Querung in Richtung Lager 4. Der noch fehlende Rest von weiteren zweihundert Metern soll von uns am nächsten Morgen fertig gestellt werden, bevor sich alle an den Aufstieg zum vierten und letzten Hochlager machen.

C3 – C4 – vom 20.06.08

Schon früh am Morgen kommt uns unser Hochträger Quambar entgegen. Zum zweiten Mal hat er seine warmen Handschuhe fallen lassen und in seinen „Langlaufhandschuhen“ kann er die Versicherungsarbeiten nicht fortführen. Ali, der alleine weiter Fixseil verlegt, bekommt schon bald von Rainers beiden Hochträgern Unterstützung und bevor die um 7 Uhr aufgebrochenen Mannschaftsmitglieder das Ende der Querung erreichen, steht die Route im wesentlichen. Nach dem letzten Felsköpferl, das den kombinierten Grat zur Bazhin-Mulde hin begrenzt, folgt ein kurzer Schneehang auf die Gletscherkappe der Mulde hinauf. Auf dem Gletscher folgen wir den flachen Hängen ein Stück weit ins Becken hinter, bis wir auf einer Verflachung einen guten Platz für Camp 4 finden. Schnell sind Zeltplattformen gegraben, ebenso zügig alle in ihren Behausungen verschwunden, um sich möglichst lange für den bevorstehenden, anstrengenden Tag wappnen zu können.

Gipfelerfolg – vom 21.06.08

Während der Nacht plagen starke Winde das Lager und seine Besatzung. Die auf 24 Uhr geplante Aufbruchszeit wird nach Rücksprache über Funk zweimal auf eine Stunde später verschoben. 2 Uhr ist es dann ganz ruhig, als alle gestiefelt und gespornt vor ihren Zelten stehen. Aber auch nur ganz kurz, denn kurz nach Aufbruch beginnt es plötzlich heftig zu graupeln. Zweifel am richtigen Gipfeltag werden wach, doch was hilft es. Ist der Zug erst einmal ins Rollen geraten, kann ihn nichts mehr aufhalten. Abwechselnd spuren wir durch die Bazhin-Mulde bis an den Fuß des Gipfeltrapez. Eine ansteigende Querung durch knietiefen Schnee führt uns bis an einen Felsrücken im rechten Bereich der Gipfelwand. Nun geht es durch Schneerinnen steiler hinauf, bis das Gelände zunehmend kombinierter wird. Nahezu unbemerkt geben nach und nach Mitstreiter auf, bis nur noch Rainer und Thomas (Amical), die beiden Italiener (die sich beim Spuren stets dezent im Hintergrund halten) und wir sechs, Flo, Joe, Helga und Jürgen, Alix und ich (DAV Summit Club), übrig sind. Nach einer kurzen Wetterverschlechterung, ziehen sich die Wolken plötzlich wieder zurück und der Gipfel liegt in seiner vollen Pracht vor uns. Doch der Weg ist noch weit , die Zeit aber bereits weit fortgeschritten. Immer noch ein Absatz im anstrengenden kombinierten Gelände, das kleine Klettereinlagen erfordert, die Höhenmeter scheinen nicht verstreichen zu wollen. Schließlich erscheint er dann aber in greifbarer Nähe – der Gipfel: Drei Kuppen, zwei aus Schnee, eine aus Fels. Die am weitesten rechts muss es sein, ein Firnhaken ziert die höchste Erhebung.
Fassungslos liegen wir uns in den Armen, wir haben es tatsächlich geschafft. Wir sind ganz oben! Es war ohne Frage ein harter Kampf, der nur ganz knapp zu unseren Gunsten ausgegangen ist. Wäre der Wind nur etwas stärker gewesen, die Kräfte etwas geringer, so hätten auch wir aufgeben müssen. In den Minuten, auf die sämtliche Planung und Mühen von Tagen und Wochen hin abzielen, ist man dann viel zu überfordert, um so etwas wie „Gipfelglück“ oder „absolute Erfüllung“ empfinden zu können. Die Anspannung ist noch nicht vorbei, der lange und anspruchsvolle Abstieg, die schwindenden Kräfte erfordern nach wie vor volle Aufmerksamkeit. Unsere Gedanken sind aber bei unseren Freunden, die– wenn nicht körperlich, dafür geistig – mit uns hier am Gipfel vereint sind: Ralf Marsula (der bereits im Basislager, noch aus gesundheitlichen Gründen abbrechen musste), Tobias Habig (der kurz vor Reisebeginn überraschend wegen einer schweren Operation absagen musste – wir hoffen es ist alles gut gelaufen!) und Matthias Robl (ein guter Freund und Kollege, der kurz vor Beginn der Expedition bei einem schweren Kletterunfall den Tod fand – wir können es noch immer nicht fassen und werden dich vermissen!). Ein ganz besonderer Dank gebührt natürlich auch Charly Gabl ohne dessen präzise Wetterprognose der erfolgreiche Ausgang dieses Tages undenkbar gewesen wäre!
Das immer mehr ins rötlich gleitende Abendlicht legt während des Abstiegs einen romantischen Schleier über die nackte Tatsache, dass es bereits sehr spät ist. Zum Glück sind wir bereits über die technisch anspruchsvollen Passagen hinweg, als es Dunkel wird. Die Querung zum Lager ist jedoch noch lang, Fehltritte in der unversicherten, steilen Schneeflanke nicht erlaubt. Die ersten Gipfelstürmer treffen gegen 22 Uhr im Lager ein, die letzten rund eineinhalb Stunden später. Zügig kriechen alle in die Schlafsäcke.

C4 – BC – vom 22.06.08

Spät wird aufgestanden, Ruhebedürfnis und Durst sind die treibenden Kräfte an diesem Morgen. Nachdem die Zelte zusammengepackt sind, kommen unsere beiden Hochträger vom Lager 3 herauf und helfen uns beim Abtransport. Wie im Fahrstuhl geht es im Folgenden hinab – 3, 2, 1, in jedem Lager müssen ein paar Gegenstände eingepackt werden, bis die Rucksäcke zum Schluss zum Bersten gefüllt sind. In der Löw-Eisrinne holt uns schließlich die Dunkelheit ein. Wir atmen innerlich auf, als die technisch schwierigen Passagen mit Erreichen von Camp 1 hinter uns liegen, doch der stark ausgeaperte Zustieg über den Gletscher zum Basislager fordert nochmals die letzten Reserven. An der Ufermoräne empfängt es uns unser Koch Manowar mit kaltem Getränk und Keksen und geleitet uns den gesamten Weg bis ins festlich mit Öllämpchen beleuchteten und mit tausend Blumengarnituren geschmückten Basislager, wo wir uns noch ein Mitternachtsdinner schmecken lassen. Bleischwer kommt schließlich der Schlaf über uns, nach diesen intensiven beiden Tagen.

C4 – BC – vom 22.06.08

Spät wird aufgestanden, Ruhebedürfnis und Durst sind die treibenden Kräfte an diesem Morgen. Nachdem die Zelte zusammengepackt sind, kommen unsere beiden Hochträger vom Lager 3 herauf und helfen uns beim Abtransport. Wie im Fahrstuhl geht es im Folgenden hinab – 3, 2, 1, in jedem Lager müssen ein paar Gegenstände eingepackt werden, bis die Rucksäcke zum Schluss zum Bersten gefüllt sind. In der Löw-Eisrinne holt uns schließlich die Dunkelheit ein. Wir atmen innerlich auf, als die technisch schwierigen Passagen mit Erreichen von Camp 1 hinter uns liegen, doch der stark ausgeaperte Zustieg über den Gletscher zum Basislager fordert nochmals die letzten Reserven. An der Ufermoräne empfängt es uns unser Koch Manowar mit kaltem Getränk und Keksen und geleitet uns den gesamten Weg bis ins festlich mit Öllämpchen beleuchteten und mit tausend Blumengarnituren geschmückten Basislager, wo wir uns noch ein Mitternachtsdinner schmecken lassen. Bleischwer kommt schließlich der Schlaf über uns, nach diesen intensiven beiden Tagen.

Ruhetag BC – vom 23.06.08

Nur die intensive Sonne vermag es, uns aus unseren Schlafsäcken zu vertreiben. Während des langen Frühstücks, wird es uns das erste Mal so richtig bewusst: Wir haben es tatsächlich geschafft! Das Nutella-Brot, der frische Kaffee, die warme Dusche – alles Kleinigkeiten, die uns als riesige Belohnungen für unsere gewaltigen Anstrengungen erscheinen. Jedes Mal wenn wir die fast 4000 Meter hinauf zum Gipfel sehen, zweifeln wir daran, dass wir wirklich dort ganz oben waren. So rasant sind diese letzten Tage vergangen, so intensiv und fordernd waren die Erlebnisse, dass deren vollständige Verarbeitung noch aussteht.

Ruhetag BC – vom 24.06.08

Kälterisse, Bronchitis, angefrorene Fingerkuppen – viele Zipperlein von Teilnehmern und Hochträgern müssen behandelt werden, unser Doc Joe ist pausenlos im Einsatz, Doc Jürgen steuert als Senior Consultant immer wieder seinen erfahrenen Rat bei. Heute hat Daniele (italienische Expedition) Geburtstag, wir sind alle eingeladen und feiern mit Pasta, Coca Cola und italienischem dolce fare niente.

Ruhetag BC – vom 25.06.08

Auch vom Feiern muss man sich bekanntlich erholen, auch wenn es so gut wie keinen Alkohol gibt. Mit der einzigen Flasche Sekt, die es bei der gestrigen Geburtstagsfeier gab, hatte Daniele in italienischer F1- Manier, die Gratulanten geduscht, so dass nur einige Schlucke für das Geburtstagskind selbst überblieben. Bei diesem gesunden Lebensstill – nur Sport, ausgewogenen Ernährung und frische Luft – müsste uns eigentlich die Krankenkasse die Expedition als Kuraufenthalt teilfinanzieren.

Bergung Material C1 & C2 – vom 26.06.08

Um 4 und 7 Uhr brechen wir in zwei Teams auf, um die restlichen Zelte in den Lagern 1 und 2 abzubauen und sämtliches Material ins Basislager zu bringen. Zustiegsgletscher und Löw-Eisrinne sind mittlerweile nahezu blank, dennoch kommen wir rasch am Ziel an. Bereits mittags sind die ersten mit ihren schweren Traglasten zurück und stärken sich an der frischen, von unserem exzellenten Koch Manowar zubereiteten Pizza.

Trocknung & Reinigung Equipment – vom 27.06.08

Nachdem Zelte und Hartware getrocknet sind, wird alles repariert und verpackt. Die Verluste sind gering geblieben. Nur 2500 Meter Fixseil, zahlreiche Eisschrauben, Firnanker, Felshaken und Reepschnüre verbleiben in der Route, da die nachfolgenden Expeditionen von Lukas Furtenbach (Österreichisch-Deutsche Expedition), Sahand Aghdaie (Iranische Expedition) und Chris Warren (US-Amerikanische Expedition) diese gerne übernehmen.

Schlechtwettertag BC – vom 28.06.08

Noch während der Nacht beginnt es zu regnen, eine Gewitterfront hängt sich ins Massiv. Bis in die Vormittagsstunden hinein schneit es und schüttet es aus Kübeln. Aber wir können uns nicht beklagen, schließlich ist es – abgesehen vom Ankunftstag – unser erster richtiger Schlechtwettertag. Wer hätte das vor der Expedition zu hoffen gewagt?! So werden die mitgebrachten Bücher – zumindest zum Teil – doch noch gelesen, die Sudokus und Kniffels doch noch gespielt.

Packtag – vom 29.06.08

Geschäftiges Treiben im Basislager – heute wird gepackt. Helga, Jürgen, Alix und Flo werden uns morgen verlassen und den Abstieg ins Tal antreten. Zum Ausklang der Expedition werden sie noch auf die andere Seite des Nanga Parbat, zur Märchenwiese auf der Rakhiot-Seite schauen und danach einige Tage im Hunza-Land verbringen. Nur Joe und Luis bleiben im Basislager zurück, um das/die noch ausstehenden Projekt(-e) weiter zu verfolgen.

Abstieg ins Tal – vom 30.06.08

Heute ist es so weit, Zeit Abschied zu nehmen. Vom Berg, dem Nanga Parbat, der sich heute nochmals von seiner Schokoladenseite präsentiert – und voneinander: Während die Zeit von Alix, Flo, Helga und Jürgen beinahe abgelaufen ist und sie sich in den wenigen verbleibenden Tagen bis zum Heimflug am 10.7. noch einem Kontrastprogramm widmen, verbleiben Joe und Luis noch ganze drei Wochen. Sie bereiten sich auf das nächste Ziel vor, die Begehung der Mazeno- Ridge. Noch ist das Wetter etwas wechselhaft, die nachmittäglichen Schauer bringen in der Höhe jeweils 10-20 cm Neuschnee, doch ab Dienstag ist stabileres, trockeneres Wetter angesagt.

Vorbereitungstag – vom 01.07.08

Essensvorräte, Kletterausrüstung, Bekleidung – die Rucksäcke werden gepackt, um jedes Gramm wird gefeilscht. Für 8 Tage maximal haben wir Vorräte und Gas dabei, der Zeitbedarf ist nur schwer einschätzbar und wird extrem von den Bedingungen abhängen, die wir auf dem Grat vorfinden werden. Nächtigen werden wir in einem extrem kleinen und leichten Black Diamond/ Bibler „I-Tent“, das keine zwei Kilogramm wiegt. Zwei Müsliriegel pro Tag sind erlaubt, abends gibt es Suppe und ein gefriergetrocknetes Gericht. Der Wetterbericht für die kommenden Tage, Mittwoch bis Freitag ist sehr gut, das stimmt uns zuversichtlich.

Der Mazeno-Grat – vom 02.07.08

Der Mazeno-Grat (engl. Mazeno Ridge), ein mehr als 10 Kilometer langer Schnee- und Felsgrat, trennt das Diamirtal auf seiner orografisch linken Seite vom Loiba- und Rupal-Tal und führt mit mehr als einem Dutzend Erhebungen über Siebentausend Metern – darunter acht eigenständige Gipfel –  in direkter Linie auf den Nanga Parbat zu. Versuche, diese markante Linie zu ersteigen, gab es bereits diverse in der Vergangenheit, darunter so bekannte Namen, wie Doug Scott Jean Troillet oder Woiteck Kurtyka. Am weitesten gelangten 2004 zwei US- Amerikaner – Doug Chabot und Steve Swenson. Sie stiegen vom Rupal-Tal auf einer Linie vor dem Mazeno- Pass zum Hauptkamm auf und verfolgten diesen erfolgreich bis zum Mazeno Col, wo sie wegen einer Atemwegserkrankung Swensons aufgeben und auf der klassischen Schell- Route ins Rupal-Tal absteigen mussten. Die von ihnen gewählte Linie bot technische Schwierigkeiten von VI, M4, AI 3 auf einer Höhe von über Siebentausend Metern über mehrere konsekutive Tage hinweg auf. Eine gewaltige Herausforderung.

Nachdem die letzten Einzelheiten in den Rucksäcken verstaut sind, wiegen diese jeweils ca. 28 kg. Mit Turnschuhen bewaffnet geht es gegen Mittag das Tal hinaus Richtung Kodagali, wo wir den Gletscher queren müssen, um den Fuß des Karó-Passes, 4900 m, zu erreichen. Dort müssen wir die Turnschuhe gegen unsere schweren Expeditionsbergschuhe eintauschen. Durch weglosen Schotter, um Eiswände herum queren wir den Diamir-Gletscher und versuchen danach die einhundert Meter hohe, steile Ufermoräne zu erklimmen. Dies artet letztendlich in extremer Sediment- Kletterei aus, womöglich gefährlicher als alles weitere, was uns am Mazeno-Grat erwarten wird. Auf dem Kamm erwartet uns eine Überraschung: Hinter der Moräne öffnet sich ein wunderbar grünes Längstal mit Flüsschen, Almwiesen und Wald, auf dem friedlich Ziegen und Kühe grasen. Nur kurz kann uns diese Idylle zur Pause verlocken, denn der Tag ist schon weit fortgeschritten und wir wollen noch möglichst weit den Pass hinaufkommen. Der steile Anstieg führt zunächst über Almwiesen, dann Krummholz in ein weites Kar hinauf. Dort verlieren sich alle Pfadspuren und man folgt weglos der Seitenmoräne des kleinen Gletschers. Kurz vor dem letzten Anstieg zur Passhöhe wird es zu spät und wir beschließen vor dem Pass in einem schönen Wiesenkessel zu lagern. An den Bachläufen blühen unzählige violette Mehlprimeln, weit und breit ist kein einziger Mensch in Sicht.

Passhöhe – vom 03.07.08

Schon früh sind wir unterwegs, eigentlich wollten wir unseren Ausgangspunkt an nur einem Tag erreichen. Die vierhundert Meter durch mühsamen Blockschutt bis auf die Passhöhe scheinen kein Ende zu finden. Endlich langen wir in einer der Breschen an, die sich tief zwischen die umstehenden Fels- Gendarmen einschneiden – und starren jenseitig eine mindestens ebenso Entsetzen erregende Geröllrinne bis auf den Loiba- Gletscher hinunter. Über einige Steilstufe müssen wir dicht hintereinander abklettern, um Steinschlag zu entgehen. Dann rutschen und rasen wir so schnell es irgendwie geht talwärts. An der Ufermoräne des Loiba- Gletschers angekommen entledigen wir uns erst einmal des Staubs aus Kleidung, Mund und Nase. Einem kleinen Pfad, der sich als bald verliert, folgen wir dem Gletscher höher in Richtung Mazeno- Pass. Ungefähr eine Stunde bevor wir diesen erreichen, entdecken wir auf der orografisch rechten Seite die Zustiegsmöglichkeit zum Hauptkamm, die wir uns erhofft hatten: Eine Geröll-, dann Schneeflanke – nicht zu lang oder steil, die uns in den Sattel vor der ersten markanten, vergletscherten Erhebung des Mazeno- Kamms leitet. An deren Fuß schlagen wir unser ABC-Lager auf und verbringen die kurze Nacht. Wieder sehen wir keine einzige Menschenseele.

Einstieg – vom 04.07.08

Noch im Dunkeln verlassen wir unseren Lagerplatz und begeben uns auf den Aufstieg. Der gefrorene Schotter lässt sich wesentlich einfacher ersteigen als die Geröllfelder der letzten beiden Tage. Schon bald kommen wir an der Schneegrenze an und steigen das stetig steiler werdende Eisfeld höher. Die letzten hundertfünfzig Meter bis in die angestrebte Einsattelung sichern wir über sechzig Grad steiles Blankeis hinweg. Die Sonne lacht auf uns herab, die Kletterei ist interessant und erfüllt uns mit Vorfreude auf das, was noch kommen mag. Doch im Col angekommen, wartet die böse Überraschung: Die mehrere hundert Meter lange Querung auf der anderen Seite, die zum Erreichen des Serac-Balkons notwendig ist, den wir gewinnen müssen, um zur Gratschneide zu gelangen, ist komplett blank. In mühevoller Kletterei erreichen wir in einer zehn Seillängen andauernden Querung durch wiederum sechzig Grat steiles Blankeis und kombiniertes Gelände den Beginn des Seracs. Zu allem Überfluss zieht währenddessen auch noch das Wetter zu, so dass die Kletterei noch eintöniger wird. Den Eiswulst erklettern wir über eine steile Rampe, just in diesem Moment öffnen sich die Wolken und hüllen uns in rosarote Abendsonne. Ein Moment, der uns sämtlichen Ärger der letzten Stunden vergessen lässt. Auf dem Hängegletscher angekommen, schlagen wir sofort unser Nachtlager auf 5960 Metern Höhe auf, denn binnen Minuten nach Sonnenuntergang stürzt das Thermometer im Sturzflug in den Keller ab. Schneeschmelzen, Abendessen, Schlafengehen – die Routine wird so zügig wie möglich abgewickelt, da wir am nächsten Morgen (2.00 Uhr) wieder früh aufstehen müssen, um dem Faulschnee in den noch geringeren Höhen (um 6000 m) zu entgehen.

Erste Gipfel – vom 05.07.08

Vor dem ersten Tageslicht sind wir wieder auf den Beinen und folgen dem Gletscherbecken, das sich von der gewaltigen Serac-Terrasse zum ersten Gipfel hin erstreckt. Schon bald wird der Schnee tief und wir spuren bis übers Knie durch Pulverschnee und Bruchharsch bis ins erste Joch. Von dort queren wir eine Schneeflanke knapp unter dem ersten Gipfel, ca. 6500 m hoch, hindurch und steigen auf ein weites Gletscherplateau hinab, das zu einem breiten Doppelgipfel hinaufführt, der uns wage ans Breithorn erinnert. Bei Windstille brennt die Sonne unbarmherzig auf uns herab, das Schuhwerk stollt auch ohne die längst abgenommenen Steigeisen unerbittlich, jeder Schritt wird von weiteren zwei Kilogramm Feuchtschnee beschwert. Erschöpft und erlöst kommen wir spätnachmittags an unserem Lagerplatz auf 6630 Meter Höhe an. Die letzte Steilflanke auf den Gipfel heben wir uns aufgrund der Verhältnisse für den nächsten Tag auf.

Es wird ernst – vom 06.07.08

Zum Glück hatten wir nicht bereits am Vortag versucht, die steile Flanke zum Gipfel zu ersteigen. Der tiefe Schnee wehrt uns auch so, bei wesentlich besseren Verhältnissen, noch beständig ab, so dass wir den wesentlich delikateren, überwechteten Steilgrat erklettern müssen. Oben angekommen, erschließt sich uns erstmalig ein spektakulärer Blick auf den weiteren Mazeno-Grat. Durch unsere Zustiegsvariante haben wir unwillentlich die Linienführung Chabot´s und Swenson´s aus dem Jahre 2004 noch zusätzlich um weitere drei Gipfel und einige Kilometer Strecke erweitert. Der Abstieg vollzieht sich steil und mühsam, tiefer Schnee behindert uns immer wieder, so dass wir uns häufig für die schwierigere aber dafür weniger kraftraubende Variante über den Fels entscheiden müssen. Nach mehreren Auf- und Abschwüngen finden wir ein Depot von Doug Scott aus dem Jahre 1994, das zwar etwas von den Vögeln geplündert wurde, ansonsten aber noch gut erhalten ist. Dennoch trauen wir uns nicht, die zum Großteil seit 13 Jahren abgelaufenen Lebensmittel anzurühren. Wenig später schlägt das Wetter um, es beginnt zu schneien und wir sehen uns gezwungen, frühzeitig unser Nachtlager auf 6825 Meter Höhe zu errichten.

Messergrate und Schneeflöte – vom 07.07.08

Noch immer ist das Wetter schlecht, es ist dicht bewölkt und heftige Graupelschauer peitschen den Grat. Aufgrund unserer Versorgungssituation sind wir jedoch gezwungen weiter zu ziehen. Bei dichtem Nebel klettern wir über den bisher vielleicht schönsten Gratteil, eine messerscharfe Firn- und Eisschneide, die seitlich von Schneeflöten flankiert wird. Links und rechts den Wechten ausweichend, mal im Reitersitz auf dem Grat entlang, überwinden wir Kuppe für Kuppe bis wir auf einem schmalen Serac auf knapp 7000 Metern Höhe Lager beziehen. Erst am folgenden Tag, als wir sehen können, was wir erklettert haben, wird uns die Schönheit dieser Passage im vollen Umfang bewusst.

Mazeno Peak Zweitbesteigung – vom 08.07.08

Noch immer ist das Wetter durchwachsen, erst nachmittags reißt es langsam Lücken in die dichten Wolken, es wird wärmer und vor allem die Psyche bekommt Abwechslung dadurch, dass man sieht, was man tut. Der Gipfel direkt über unserem Lager entpuppt sich mit 7060 m als zu niedrig für den erwarteten Mazeno Peak. Auch die folgenden beiden weiteren Kuppen kommen mit 7068 m und 7090 m nicht in Frage. Der Versuch, einen gewaltigen Serac-Bauch südseitig zu umgehen, scheitert kläglich im hüfthohen Gries-Schnee. Keinen Meter kommen wir wühlend die sechzig Grad steile Flanke höher und müssen resigniert am Grat den Eisnollen überwinden. Immer wieder spuren wir durch knietiefen Schnee, häufig zusätzlich durch eine Harschkruste behindert, bis wir endlich die höchste Erhebung des Gratverlaufs erklommen haben. Eine gigantische Schaumrolle ziert den König des Kammes, den Mazeno Peak, 7145 Meter hoch. Kaum zu glauben, dass wir erst die zweiten Menschen sind, die auf dem Gipfel dieses formschönen Berges stehen. Auch das Wetter gönnt uns gnädigerweise einige Momente des Genusses und lässt einige wärmende Sonnenstrahlen zu uns die Wolken durchdringen. Noch etwas klettern wir weiter, bis wir in einem weiten Schneesattel, 7040 m, erschöpft unser Nachtlager errichten.

Der Beschluss – vom 09.07.08

Zum Frühstück verzehren wir unsere letzte Ration Müsli, auch unsere anderen Vorräte sind bereits erschöpft. Dennoch hatten wir uns bisher nicht dazu hinreißen lassen, an der Weiterführung unseres Weges bis zum Hauptgipfel des Nanga Parbat zu zweifeln. Heute jedoch schaffen wir mit Mühe und Not die erste hundert Meter hohe Erhebung in eineinhalb Stunden. Wir sind total ausgebrannt, bereits seit einer knappen Woche halten wir uns in einer Höhe um die 7000 Meter auf. Wie üblich müssen wir durch dreißig Zentimeter hohen Bruchharsch mühsam eine Spur pflügen. Auch die Wetteraussichten lassen wenig Spielraum für Optimismus zu. Zwar scheint momentan die Sonne, doch die vom Tale heraufdrängenden Wolken lassen bereits die nächsten Graupelschauer erahnen. Nach längerem „Für“ und „Wider“ bleibt uns nur übrig anzuerkennen, dass eine Fortführung der Route keine Aussicht auf Erfolg haben würde. Bei den vorherrschenden Verhältnissen würde eine Weiterführung des Weges schätzungsweise weitere drei Tage benötigen, doch unsere Kräfte und Vorräte sind erschöpft, der tiefe Schnee und das schlechte Wetter lassen keine Diskussion zu: Wir müssen abbrechen, am einzigen Punkt, der dies gestattet, an dem von uns „Messner Col“ getauften Joch – das der Messner- Solo- Route durch die Diamir-Wand am nächsten kommt. Schon bald ist dieser Punkt erreicht und wir stellen unser Zelt auf und planen akribisch den komplizierten Abstieg durch die zerrissene Gletscherwand mit Hilfe einiger Fotos, die sich auf der Digitalkamera befinden, durch. Am nächsten Tag müssen wir schnell sein, von überall her im Gletscherkessel droht Eisschlag von den gewaltigen Seracs.

Abstieg über die Messner-Route – vom 10.07.08

Beim ersten Licht sind wir bereits unterwegs und spuren zum Teil hüfttief durch Pulverschnee querend die obersten Hänge. An der ersten Schlüsselstelle müssen wir kurz eine Steilwand abseilen, dann schlängeln wir uns durch mehrere Bruchstufen hindurch bis in den ersten Gletscherkessel. Dort legt sich das Gelände etwas zurück, dank des Pulverschnees können wir einige hundert Höhenmeter auf unserem Hosenboden hinabrutschend Kraft und Zeit sparen. Dann wird die Schneeoberfläche zunehmend härter, das Gelände verspalteter, so dass wiederum volle Konzentration gefordert ist. Mehrere große Querspalten und Eisabbrüche müssen umgangen werden. Bei der bislang höchsten Klippe – ein Abbruch mit mehr als 150 Meter Höhe – finden wir keinen geeigneteren Weg als seitlich über eine siebzig Grad steile Eiswand mehrmals abzuseilen. Eine mühsame Aktion, mit unserem kurzen, 40-Meter-Dyneema- Seil. Danach geht es schneller weiter. Im Eilschritt kämpfen wir uns durch das Gletscherlabyrinth, immer wieder müssen wir ausweichen und umgehen, bis wir endlich nach 9 Stunden Gehzeit das Gletscherende erreichen. Ein Empfangskomitté aus zwei Amerikanern, die uns – wie das gesamte übrige Basislager – mit dem Fernglas bei unserem nervenaufreibenden Abstieg beobachtet hatte, empfängt uns freudestrahlend mit Gatorade und Keksen. Uns wird – bei den objektiven Gefahren – die zweifelhafte Ehre zuteil, die vermutliche Zweitbegehung der Messner-Solo-Route (im Abstieg) vollzogen zu haben. Für uns bedeutete es lediglich die einzige Möglichkeit des Entrinnens aus noch größerer Gefahr. Eine Stunde später laufen wir im Basislager auf 4250 m Höhe ein und werden von vielen bekannten und einigen neuen Gesichtern empfangen und über unsere Erlebnisse ausgequetscht. Die amerikanische Expedition von Chris Warner bewirtet uns fürstlich mit Crackern, Limonade und Tee bis wir schier platzen. Müde sinken wir in unsere Schlafsäcke im Einzelzelt – welch Luxus nach einer Woche zu zweit im „I-Tent“.

BC – vom 11.07.08

Bei den Essens- und Tee-Einladungen der im Basislager verbliebenen Expeditionen – Iraner, Amerikaner und Österreicher – erfahren wir die letzten Neuigkeiten und regenerieren uns Stück für Stück wieder von den Strapazen der letzten Tage. Zwar lässt sich die Enttäuschung, das erreichte Ziel – die Begehung der Mazeno Ridge bis zum Gipfel des Nanga Parbat – nicht erreicht zu haben noch immer nicht ganz abschütteln, doch kann das Erlebnis einer unglaublichen Gratbegehung mit der Zweitbegehung eines Siebentausenders andererseits keinesfalls nur als „Trostpflaster“ abgestempelt werden. Noch immer sind wir überwältigt von den vielen Eindrücken und Abenteuern, die wir auf unserer spektakulären „Rundreise“ erleben durften.

Ruhetag BC – vom 12.07.08

Von unserem einwöchigen „Ausflug“ müssen wir uns jetzt erst einmal wieder etwas erholen. Beide haben wir viel Körpergewicht verloren, das bestätigt objektiv der Hosengummi der langen Unterhose, der dringend eine Kürzung notwendig hätte. Aber ist es nicht derzeit Mode, den Hosenbund irgendwo unter dem Schritt zu tragen? Die wichtigsten Ereignisse im Basislager sind die Essenszeiten und zwischendrin gibt es irgendwelche Snacks. Eigentlich hätten wir nun das optimale Sportklettergewicht erreicht, hier gäbe es auch jede Menge Boulderfelsen, doch haben wir leider unsere Kletterschuhe und den Chalkbag vergessen… so halten wir uns dann doch lieber ans Essen und hoffen auf die nächste Alpinaktion!

Geplante Skiabfahrt Nanga Parbat – vom 14.07.08

Nachdem der Wetterbericht für die kommenden drei Tage wieder hervorragendes Wetter verspricht, kann es Luis nicht lassen, es nochmals mit der Skibefahrung des Nanga Parbat zu versuchen. Die Verhältnisse haben sich in den vergangenen 14 Tagen wieder etwas erholt, wiederholt hatte es in der Zeit der Mazeno Ridge-Begehung Neuschnee gegeben, der sich mittlerweile gut gesetzt hat. Stundenlanges Beobachten der Diamirflanke – vor allem der zahlreichen, riesigen Serac-Abbrüche in der Wand und der immer wieder daraus hervorbrechenden Eislawinen – haben gezeigt, dass die Linie der geringsten Gefährdung vom Gipfel über das Gipfelcouloir auf das erste Schneefeld führen, dann im Abfahrtssinne nach links über der Bruchkante des ersten großen Serac-Abbruchs folgen muss. Die anschließende „Wendeltreppe“ – ein schmaler, verwundener und zerschrundener Gletscherarm, durch den auch die Messner- Solo- Route verläuft, erfordert viel Fingerspitzengefühl und Orientierungsvermögen, bevor es dann auf die unteren Gletscherplateaus weitergeht. Auf den tiefsten Gletscherterrassen stellen dann vor allem die zahlreich vorhandenen Gletscherspalten noch einmal den Orientierungssinn auf die Probe. Die Skiabfahrt soll am Mittwoch den 16.7. nach einem Schnellaufstieg in einem Tag erfolgen. Aus taktischen Gründen – die Eis- und Steinschlaggefahr in der Löw- Eisrinne ist zu extrem, um sie mitten am Tag anzugehen – muss Luis bereits am 15. Frühmorgens durch die Rinne aufsteigen, dann auf Camp 2, 6070 m, einige Stunden abwarten, bevor er seinen Aufstieg über Camp 3 und 4 hinweg durch die Nacht hinweg fortsetzen kann, um in den Vormittagsstunden den Gipfel erreichen und die Skiabfahrt bis spätestens Mittag antreten zu können. Andernfalls würde die Abfahrt unter den vielen Seracs hindurch zu einem unkalkulierbaren Vanbanque-Spiel werden.

Aufstieg Kinshofer-Route – vom 15.07.08

Um 4.30 Uhr bricht Luis im Basislager auf, durch regennasse Wiesen – doch der Himmel ist klar und die Luft frisch und kalt. Schon auf dem Gletscher ist das Geröll zusammengefroren und verspricht für den weiteren Weg gute Bedingungen. Camp
1, 4900 m, ist nach 1,5 Stunden erreicht und tatsächlich ist der Firn in der danach beginnenden Löw- Eisrinne schön durchgefroren. Der Aufstieg verläuft zügig, nur die eingefrorenen Fixseile müssen immer wieder gelöst werden. Zum Teil erfordert dies mühsames Herauspickeln aus dem Wassereis. Auch die mittlerweile komplett apere Kinshofer-Wand ist gut zu klettern, so dass Camp 2 nach weiteren 4,5 Stunden Aufstieg am späten Vormittag erreicht ist. Nun folgt eine Zwangspause bis in den Nachmittag hinein, um den restlichen Anstieg ohne weitere Verzögerungen durchführen zu können. Aber auch zur Regeneration kommt die Pause nicht ungelegen.
Um 18.00 Uhr bricht Luis wieder auf und steigt bei aufziehender Abendstimmung die Eishänge zu Camp 3, 6800 m, hinauf. Dort befinden sich die 7 Mitglieder der iranischen Expedition, die sich auf ihren Gipfelgang am 17.7. vorbereiten. Bereits um 21.30 Uhr, nach 3,5 Stunden Aufstieg, läuft Luis im Lager ein und wird von den iranischen Bergsteigern mit Tee und Schokolade begrüßt. Nach einer Pause, in der wärmere Socken, Overboots und Daunenbekleidung angezogen werden, wird der Anstieg fortgesetzt. Nun heißt es selbst Spuren, da seit mehr als zwei Wochen niemand mehr über Lager 3 aufgestiegen ist. Die Fixseile sind tief verschneit, so dass Luis erst im letzten Drittel der Querung Gebrauch davon machen kann. Der tiefe Bruchharsch erfordert alleine extreme Anstrengungen beim Spuren, die normalerweise in 4 Stunden machbare Etappe zu Camp 4, 7070 m, zieht sich auf über 5 Stunden hin. Dazu bläst ein schneidend kalter Wind. Luis´ Zehen sind seit Stunden taub, dauernd muss er sie bewegen, um nicht komplett das Gefühl zu verlieren. Zu Beginn der Bazhin-Mulde gräbt er eine Mulde in den Schnee, um für eine kurze Pause Windschutz zu haben, etwas essen, trinken und nach seinen Füßen sehen zu können. Als die Sonne aufgeht, steigen die Temperaturen an und auch der Wind wird etwas besser. Bis die wärmenden Strahlen aber die schattige Nordwestseite erreicht haben, werden noch weitere Stunden vergehen müssen. Zu dieser Zeit ist Luis bereits im Gipfeltrapez unterwegs.

Noch einmal wird es spannend am Nanga Parbat. Nach hervorragender Regeneration im BC, mit vielen Einladungen der anderen Expeditionen, will es der Höhenkirchner Bergführer Luis Stitzinge wissen. Der Plan ist, diesmal alleine, im Alpinstil, den „nackten Berg“ über die Kinshofer Route zu bezwingen und anschließend mit den Ski die Diamirflanke vollständig abzufahren – und dies innerhalb von 48 Stunden. Das Wetter scheint Luis für die nächsten Tage günstig gestimmt zu sein. Jedoch erwartet man im Gipfelbereich Windgeschwindigkeiten von 50-60 km/h. Da die Iranische Expedition, die derzeit am Berg ist, erst am Folgetag den Gipfelangriff starten wird, wird Luis sich alleine durchschalgen müssen, und von keinerlei Spuren in dem zu erwartenden 30 cm tiefen, verblasenen Schnee, profitieren können. Darauf wird noch die ca. 3100 Höhnmeter lange Abfahrt bis auf Höhe des Camp I folgen, wo derzeit die Schneegrenze liegt. Sollte dieser Plan gelingen, wird es wohl die erste Besteigung im Alpinstil über die Kinshofer Route, die Schnellste Besteigung, sowie die erste vollständige Abfahrt vom Nanga Parbat ins Diamir Tal bedeuten.

Skiabfahrt über die neue Skiroute – vom 16.07.08

Auch der Aufstieg durch die Gipfelflanke ist weiter kraftraubend, 30 cm Schneeauflage mit einem Harschdeckel darauf, lassen Steigeisen durchbrechen, Ski – auch mit Harscheisen versehen – abrutschen. Nach dem vorhergehenden Anstieg über 3500 Höhenmeter kostet Luis die Spurarbeit alleine die letzten Kraftreserven. Immer wieder muss er verweilen, um Kraft zu schöpfen. Den Gipfel bereits in greifbarer Nähe, muss Luis schließlich gegen Mittag eine schwere Entscheidung treffen: Setzt er den Aufstieg zum Gipfel fort, ist es für eine Skiabfahrt zu spät und zu gefährlich. Tritt er die Skiabfahrt noch zur richtigen Zeit an, kann er den Gipfel – vielleicht 300 Meter entfernt – nicht mehr erreichen. Luis entscheidet sich für letzteres. Das Ziel des erneuten Aufstiegs war die Skiabfahrt, nicht die Schnellbesteigung des Gipfels, den er zudem gute zwei Wochen zuvor erfolgreich erreicht hatte. So schnallt er an seinem Highpoint, nach 3500 Metern Aufstieg und 21 Stunden Gehzeit vom Basislager, seine Ski an und begibt sich auf die Sturzfahrt die Diamirflanke hinab. Joe, im Basislager mit Fernglas und Funkgerät bewaffnet, unterstützt ihn so gut es geht bei der Wegfindung durch das komplexe Gletscherlabyrinth. Nach der Abfahrt durch die Gipfelrinne und über das erste Schneefeld hinweg, muss im Abfahrtssinne nach links durch Bruchzonen gequert werden, um das nächste Gletscherbecken zu erreichen. Schlüsselstelle dabei ist die Überwindung eines kleinen Felsgrates und der damit verbundenen Steilstufe. Nachdem Luis eine Schwachstelle im Gratverlauf entdeckt hat, kann er eine ca. 50 Grad steile Schneerinne auf der anderen Seite abfahren und steht im nächsten Gletscherbecken. Über wunderbare Firnhänge fährt er dieses ab, bis er auf einer Terrasse durch die nächste Bruchzone weiter nach links queren kann. Weite Hänge führen hinab zur „Wendeltreppe“, einer schmalen, mehrere hundert Meter hohen Serac-Kaskade, der zweiten großen Schlüsselstelle der Route. Mehrere kurze Steilstellen über 50 Grad Steilheit lauern hier im Eis. Dank der präzisen Einweisung über Funkgerät kann Luis aber die größten Hürden schnell umfahren, die kleineren sind schnell geknackt. Alsbald ist er auf dem großen Gletscherplateau unterhalb des großen Felsabbruchs angekommen und durchfährt dieses und die folgenden Gletscherbecken problemlos in Richtung auf den untersten Eisbruch. Hier durchkreuzen nochmals zahlreiche Spalten und Abbrüche die Abfahrtslinie, immer wieder muss ausgewichen, umfahren oder über Spalten gesprungen werden. Dann, nach knapp 2 Stunden Abfahrt, ist endlich das Gletscherende erreicht, der Weg zwischen Basislager und Camp 1 nur wenige Meter entfernt. Die Ski auf den Rucksack geschnallt, ist der Weiterweg talwärts schnell angetreten, eine Stunde später ist Luis nach insgesamt 24,5 Stunden Geh- und Abfahrtszeit im Basislager angekommen. Damit hat der Nanga Parbat eine spektakuläre Abfahrtslinie hinzugewonnen und Luis mit Sicherheit eine der schnellsten Begehungszeiten des Berges erreicht – wenn auch dieses Mal, knapp, ohne Gipfel.

Abschluß der Expedition und Rückreise – vom 17.07.08

Nun heißt es aber endgültig Abschied vom Berg zu nehmen… wir haben die uns zur Verfügung stehende Zeit maximal ausgereizt und müssen uns nun beeilen, wieder nach Islamabad zurückzukommen und die Heimreise anzutreten. Am 19. Juli steigen wir, Joe und Luis, zusammen mit einigen Trägern in einem Tag nach Halale ab. Im Basislager verbleibt lediglich eine iranische Expedition, die amerikanische bricht am selben Tag wie wir die Heimreise an. In Halale Bridge werden wir von unserem L.O. Taimoor mit einem Geländewagen abgeholt und am selben Abend noch nach Chilas gebracht. Dort genießen wir zum ersten Mal seit fast zwei Monaten den Komfort eines Hotels. Am 20. Juli geht es im Akkord zurück über den Karakorum- Highway, 14 Stunden Fahrt nach Islamabad. Debriefing, Shopping, Abschiedsessen – der 21. Juli ist schnell vorbei und wir sitzen im Morgengrauen des 22. Julis im Flugzeug nach Deutschland. Um 20.00 Uhr empfängt uns aufs herzlichste ein kleiner Kreis von Angehörigen und Freunden am Flughafen München. Die Heimat hat uns wieder, auch wenn wir geistig noch nicht so ganz angekommen sind.